Adventsabendlied 13: "Kindelein zart"


Wieder ein Wiegenlied, das dem Kindelein einen ruhigen Schlaf ermöglichen soll: „Kindelein zart, von guter Art“.

 

Meine Gedanken zu dem Lied widmen sich heute den Schafen, die draußen weiden während das Kindelein schläft. Diesem dankbaren Tier, das sich sogar noch auf Schlaf reimt.

Weil das Schaf als erstes gezähmtes Haustier dem Menschen seit jeher sehr wichtig war, spielt es vermutlich auch in den Religionen eine bedeutsame Rolle.

Damit es den Menschen vor Gefahren bewahrt oder aus Dankbarkeit werden und wurden Schaf geopfert. Damit dient das Schaf dem Menschen und stirbt an seiner Statt. Christus als Lamm Gottes – Agnus Dei – nimmt stellvertretend für den Menschen die größte Pein auf sich.

Im Begriff „Sündenbock“ haben wir es vermutlich mit dem Wildschaf zu tun, das ja recht beeindruckende, geschwungene Hörner besitzt. Ein nicht zu unterschätzendes, kampfbereites Tier, das keineswegs so wehrlos und friedfertig ist wie die Lämmlein.

Dass man zu Ostern in vielen Ländern Babyschafe schlachtet und isst, die wollig-weichen und sanftmütigen Kinder der Schafe. Es ist ein solch wunderbares Bild, im Frühjahr an einer Schafherde vorbeizukommen, die in ihrer Mitte die „Osterlämmer“ schützt.

Eine schöne Stimme hat es beileibe nicht das Schaf und das Blöken einer ganzen Schafherde tönt nicht unbedingt angenehm in den Ohren. Aber mit dieser Stimme finden die Mütter und Kinder zueinander und warnen die Herde vor Feinden. Die Schafwolle wärmt die Menschen seit alters her, sie stricken Kleidung und betten ihre Kinder auf kuschlig-weiche Schaffelle.

Und wenn man einen Menschen als Schaf oder Lämmchen bezeichnet? Selbst wenn es als Kosewort gemeint ist, schwingt immer die Idee von einem unselbstständigen Herdenwesen mit, das sich nicht wehrt, das friedfertig ist und sich quasi als Opfer eignet.

Warum fallen mir jetzt gerade die Menschen ein, die sich den Begriff der „Querdenker“ frecher Weise angeeignet haben? Vielleicht weil das Blöken oder auch Bölken so unschön und unharmonisch klingt, wenn sie ihren Hass hinausposaunen und plötzlich gar nicht mehr friedlich sind? Das sind vielleicht eher die Wölfe im Schafspelz, die ihre Hörner versteckt haben zwischen den antroprosophischen und anderen Lämmern, die sich von ihnen verführen und verwirren lassen bis zur Selbstaufgabe – stellvertretend – weil die Wölfe sich (noch) nicht aus der Deckung wagen.

Es tut mir so leid, wenn ich jeden Tag von Familie, Freundinnen und Freunde höre, wie Freundschaften zerbrechen oder schwere Zerreißproben zu bestehen haben, die noch keineswegs entschieden sind, weil gutmeinende, fehlgeleitete Menschen sich fürchten vor einer neuen Erscheinung und vor dem was kommen mag, vor einer Veränderung und vor dem, dass sie sich auf Neues und Unbekanntes einstellen müssen. Es scheint auszureichen, sie nur gründlich in Angst und Panik zu versetzten wie es Wölfe mit einer Schafherde tun, damit sie kopflos durch die Gegend rennen, ihre gewohnte Sicherheit verlieren, wild durcheinander, über- und untereinander purzeln und nicht mehr ein noch aus wissen, keinen Ausweg zu sehen.

Wölfe reißen in solchen Momenten Schafe und ihre Natur lässt sie bisweilen in einen Blutrausch verfallen. Die zweibeinigen Wölfe servieren der Geschichte zufolge zunächst einen Sündenbock. Da gibt es bereits recht erprobte Sündenböcke und wer aus der Geschichte nichts gelernt hat, ist bereits, sich immer und immer wieder denselben Sündenbock servieren zu lassen. „Schaut mal, wie gefährlich der ist, welche Hörner der hat, wie viel der frisst, welche schrecklichen Krankheiten der verbreitet, wie der sich vermehrt bis von uns keiner mehr übrig sind…“ Die Wölfen malen den Lämmern ein Schreckensbild der Schafe, die doch ihre Familie sind, die ihre Eltern sind und ihre Brüder und Schwestern – so lange bis die Lämmer im lauten Blöken die Stimme ihrer Familie, ihre Freunde nicht mehr erkennen können.

Stellt Euch vor, die Tiere in Feld Wald und Flur besäßen auch noch sozialen Medien, in denen sie … nicht auszudenken! Die Vorhersage träfe vermutlich ein und es gäbe bald keine Lämmer mehr oder die Wölfe würde die schwächsten Wölfe zu Lämmern erklären….

Und wenn die Wölfe dann einen vermeintlichen „Guten Hirten“ servieren, dem die friedfertigen, ängstlichen Schafe gerne gedankenlos nachlaufen und der in Wirklichkeit ihr Leitwolf ist? Dann ist die Herde verloren oder zumindest viele der einst Friedfertigen und Friedliebenden, die gar nicht so dumm sind wie sie in der Panik erscheinen.

Gibt es denn gar keinen Ausweg?

Das Besondere am Menschen ist, dass er denken und sprechen kann und dass er damit aus der Barbarei zur Kultur finden konnte – menschlich sein kann. Damit kann er die Welt gestalten und erhalten. Wenn die Philosophen vom Homo homini lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf - sprechen, meinen sie die Menschen, die sich (noch) nicht kennen.

Vielleicht ist das Kennenlernen und dadurch Vertrauenbilden ein Weg?

Wenn aber die Wölfe schon in die Herde eingedrungen sind, was dann?

Da braucht es einen Hüter, der die Wölfe vertreibt und seine Herde schützt, dem die Schafe vertrauen können und bei dem sie ihre Lämmer sicher vor den Wölfen gebären und aufziehen können.

Genug der Vergleiche - Menschen sind keine Tiere. Verzeiht, Ihr Lieben, den gewagten Vergleich, der mir heute beim Anhören des Abendlieds kam. Eigentlich liegt es mir fern, Tieren menschliche Eigenschaften zuzuweisen und Schafe mag ich auch - besonders die gehörnten Wildschafe oder die lustigen Texelschafe oder die schwarzköpfigen Walliser oder die am Deich stehenden, deren untenstehende Beine länger sind als die obenstehenden (zumindest haben wir Rabeneltern an den friesischen Deichen unserem Kind das versucht weiszumachen) oder ...

Ich wünsche Euch allen, dass Ihr geduldig wie Lämmer mit den "Verirrten" unter Euren Freunden sprechen könnt bis zu dem Punkt, an dem Ihr merkt, dass Ihr sie nicht "retten" könnt  und dass es wichtig ist, Euch selbst und Eure Lieben zu schützen.

Hoffentlich müsst Ihr nicht zu viele Schäfchen heute zählen bis Ihr Einschlafen könnt nach so viel Nachdenken.

Ich wünsche Euch eine wohlbehütete Nacht. ...