Statt-Abendlied 4

Orgelerinnerung mit cameron carpenter


Liebe Familie, liebe Freundinnen, liebe Freunde,

 

- manche von Euch kennen Sie - ist für mich eine der schönsten Kirchen: Seit 770 Jahren steht diese stabile Wehrkirche schießschartenbewehrt am Wangener Berg und schaut hinab in Neckartal. Ihr Läuten ist gerade an ruhigen Sonntagen wie wir sie momentan haben, weithin zu hören. Am Ostersonntag haben wir ihrem Läuten aus dem Garten gelauscht.
 
Vielleicht gefällt mir die Michaelskirche auch so gut, weil ich viel mit, bei und in ihr erlebt habe: In der Michaelskirche wurde ich getauft, konfirmiert, sang so manches Konzert dort, spielt eine zeitlang dort die Orgel und vertrat den Katorendienst und führt mit dem von mir geleiteten Kinderchor Krippenspiele auf. 
Als junges Mädchen half ich mit, die Kirche vom vielen Efeu zu befreien, das die Sandsteinmauern angriff. Welche eine Entdeckung, als sich die Figur des Heiligen Michael an der Außenmauer zeigte. Eine unserer älteren, hochengagierten Gemeindemitglieder kletterte mutig die Leiter hinauf, die wir Jungen unten halten sollten. Dabei gewährte sie uns ungeahnte Einblicke auf die langen, rosarot-verwaschenen "Liebestöter" und pubertäres Kichern. Als dann ein ebenfalls älterer Kirchengemeinderat vorbeikam und sagte: "Do guck no, Rosa, do guck no!"  konnten wir das Lachen nicht mehr halten. Er hatte die Energie der etwa Siebzigjährigen bewundert und wir Jugendliche ....
Meine schönsten Erfahrungen jedoch waren es, alleine in der Kirche zu sitzen und die Orgel zu spielen.
Da meine Klavierlehrerin - Freundin meiner Mutter - zugleich die Kantorin dort war, wollte ich schon immer Orgel spielen lernen. Das ordentliche Erlernen des Klavierspiels setzte sie voraus und so hatte ich unsägliche zehn oder elf Jahre des Übens und zum Üben gezwungen Werdens hinter mich zu bringen, ehe ich endlich mit dem Orgelspiel beginnen durfte. Da war meine Lehrerin schon an ihrem Berufsende angekommen und nach kurzer Zeit schickte sie mich zu einem Kirchenmusikdirektor in der Cannstatter Stadtkirche, bei dem ich mich auf die C-Prüfung für Kantoren vorbereiten sollte. Damit ich auch recht fleißig üben konnte, bekam ich - welch wunderbares Vertrauen - einen Schlüssel zur Kirche. Einen richtig großen, schweren Schlüssel.
Welche ein herrliches Gefühl war das, allein in der Orgelbank zu sitzen - mit meinen Orgelschuhen mit den kleinen Absatz - und die Register auszuprobieren, die vielfältigen Kläge zu erproben und das mächtige Zittern der elektrischen Luftpumpe zu spüren. Von meinem Onkel Matt, der Schulleiter und Kantor in Dettingen/Teck gewesen war, kannte ich es noch, dass jemand den Blasebalg für die Orgel treten musste.
Manchmal, wenn ich recht laut spielte oder wenn es jemandem bei seinem Gang über den Friedhof danach war, hörte ich die Kirchentür aufgehen und ohne dass ich denjenigen sehen konnte, setze sich jemand zum Zuhören leise in eine Bank. Das weckte natürlich meinen Ehrgeiz, fehlerfrei zu spielen.
Es gibt mehrere Gründe, warum ich damit aufgehört habe - das Orgelspiel selbst war es sicherlich nicht, das mir immer viel Freude gemacht hat, auch wenn ich keine Meisterin darin wurde . wie es mein Nachfolger, der Komponist Ulrich Süße war, der meine Mutter schockierte, als er das erste Mal bei uns klingelte und "Süße" zu meiner Mutter sagte, als sie aus dem Fenster sah - dabei wollte hatte er sich nur vorstellen wollen.
Im heutigen Statt-Abendlied 3 möchte ich Euch den unglaublichsten Organisten vorstellen, den ich jemals erlebt habe: Cameron Carpenter.
Wir sind Fans seit wir ihn und seine weltgrößte transportable Orgel vor ein paar Jahren in Berlin erleben konnten.
Leider kann das Konzert, für das wir am 29. April Karten in der Philharmonie Berlin haben, nicht stattfinden.
Wenn Euch nach einem kurzen Hörgenuss ist, hier Eine Hörprobe statt Abendlied - die Kunst der Fuge von J.S. Bach gespielt von Cameron Carpenter, dem Unvergleichlichen. 
Wenn Euch das gefällt, dann empfehle ich Euch das Osterkonzert 2020 Konzerthaus Berlin anzuhören. Programm: BWV 552; Astor Piazzolla "Oblivion"; A. H. Brewer "Marche Héroique"; Modest Moussorgsky "Das alte Schloss" (aus Bilder einer Ausstellung); Luis Vierne "Carillon de Westminster"; Joe Hisaishi "Nausicaä aus dem Tal der Winde"; Percy Grainger "Irish Tune from County Derry und Howard Hanson "Sinfonie Nr. 2 Romantic"  
Auf seiner Webseite erfahrt ihr mehr von diesem besonderen Musiker, der morgen seinen 39. Geburtstag feiern wird. 
Allen Organisten, allen Profi - und Laienmusizierenden und allen Menschen, die Musik lieben wünsche ich, dass es bald wieder gemeinsame Konzerte geben wird. Bis dahin lasst uns ausprobieren, was die Musik so alles noch kann, wo und wie man sie ausüben und hervorlocken kann - ganz so wie es unsere Enkelin Kira gerade macht als lebendiger Springbrunnen übt sie die Lippenan- und entspannung mit Tönen und Wasserfontänen. 
Danken möchte ich heute all denjenigen, die mir die Freude an der Musik nahegebracht haben, die mit mir sangen und musizierten, die mich gefördert und ermutigt haben. Ohne Euch hätte ich manchmal vergessen, welche besonderes Geschenk mir mit der Musik gegeben wurde. Mit einigen von Euch verbinden mich musikalische Erlebnisse, Erfahrungen und Freuden, an die ich so gerne denke und die mich heute stärken. 
Viel Vergnügen Euch beim Musizieren aus dem Fenster, im Garten, auf dem Balkon, allein, mit dem Internet, mit einem Instrument oder einem Alltagsgegenstand oder beim Selbstsingen Eures Lieblingsschlafliedes! 
Viva la Musica ...